Kurzfassung
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) ist eine, von Dr. Francine Shapiro 1989–1991 entwickelte, etablierte traumabearbeitende Methode. Sie wird weltweit erfolgreich in der Behandlung von Erkrankungen infolge von traumatischen Erlebnissen eingesetzt.
Ursprünglich getestet und entwickelt für die effiziente Bearbeitung von traumatischen Erlebnissen, wird EMDR inzwischen auch für die Behandlung von Angst- und Selbstwertstörungen, Depressionen, Zwängen, Panikattacken, Phobien, Suchterkrankungen und Leistungsblockaden eingesetzt.
Methodisch folgt die Bearbeitung von Schlüsselerinnerungen, hinter denen oft pathogene Erinnerungen liegen, mittels der EMDR-Methode einem Vorgehen in acht genau umschriebenen Phasen. Die grundsätzliche patientInnengerechte Information und Behandlungsplanung abhängig von der Art der Erkrankung erfolgt sorgfältig gemeinsam mit den Betroffenen.
In der traumaspezifischen Anamnese und Diagnostik werden relevante Belastungsfaktoren und aktuelle Symptome – auch differentialdiagnostisch – erfasst. Dabei ist wichtig, welche Symptome im „Hier und Jetzt“ erkennbar sind bzw. berichtet werden. Diese können sich auf verschiedenen Repräsentationsebenen (Verhalten, Gedanken, Gefühle, Körper) zeigen und sind gekennzeichnet durch sogenanntes „dysfunktionales Erleben und Verhalten“. Dies bedeutet, dass der normale und angenehme Alltagsvollzug für die Betroffenen oder/und die Angehörigen spürbar beeinträchtigt ist („Leidensdruck“).
Die Belastungen können sich auf verschiedenen sogenannten Repräsentationsebenen im Alltag zeigen – dies sind Gedanken, Gefühle, körperliche Reaktionen und Verhalten. Im Folgenden seien einige Beispiele genannt:
Gedanken: „Ich bin das Letzte“, „Ich kann nie darüber hinwegkommen“, „Ich halte es nicht aus, es zerreißt mich“….- auch Erinnerungslücken, andere sogenannte dissoziative Zustände
Gefühle: Angst, Hilflosigkeit, Scham, Schuld….
Verhaltensweisen: Vermeidung, skurrile, nicht adäquate Reaktionen auf harmlose Auslöser hin oder sämtliche Komorbiditäten, die nicht anders erklärt werden können
Körpersymptome: Herzrasen, Schlafstörungen, spezifische Schmerzen, somatoforme Störungen…
Nach der Erfassung solcher Reaktionen werden Erklärungen für die Reaktionen und Zusammenhänge zwischen den Symptomen sowie Indikationen und Kontraindikationen für EMDR erörtert und besprochen. Die therapeutische Haltung ist wie grundsätzlich in der Traumatherapie auf Psychoedukation ausgerichtet: partnerschaftlich, ressourcenorientiert, transparent und jeder Schritt wird erklärt und gemeinsam mit dem/der PatientIn beschlossen und vorbereitet.
In der Stabilisierung und Vorbereitung stehen Ressourcen, Stressbewältigungs- und Distanzierungstechniken im Vordergrund, damit die PatientInnen fähig sind und sich kompetent erleben, sich von traumatischem Material eigenständig zu distanzieren und so sukzessive (wieder) Kontrolle über das eigene Erleben und Verhalten übernehmen können – auch „Wiederermächtigung, Erhöhung des Selbstwirksamkeitserlebens“ genannt. Zur Kontrollerfahrung (und genau das haben TraumapatientInnen oft lange eingebüßt) gehören auch die genaue Erklärung der Methode und ihrer Wirkmechanismen sowie die nochmalige Überprüfung der Indikationsstellung gemeinsam mit dem/der PatientIn. Diese beiden Phasen können je nach Ausmaß und Art der Traumatisierung und je nach Stabilität des/der PatientIn von einigen Sitzungen bis zu mehreren Jahren dauern.
Zu dieser Phase gehört auch die mehrmalige genaue patienteInnengerechte Erklärung der Hintergründe und der Technik der Methode und die Besprechung des konkreten Vorgehens mit allen Kontrollmöglichkeiten durch den/die PatientIn.
Die Arbeit mit dem sogenannten EMDR-Ablaufschema (=Vorgehensweise nach dem für PTBS extrem gut untersuchten und evaluierten und weltweit standardisierten Behandlungsmanual) beginnt mit der Bewertungsphase. Hier werden die für die Behandlung relevanten Themen gemeinsam mit dem/r PatientIn präzisiert (z.B. Selbstwertgefühl nach immer wieder erlittenen Demütigungen, das sich im „Hier und Jetzt“ in Versagensangst in der Arbeit bei Anweisungen durch den Chef zeigt oder irreale aber im „Hier und Jetzt“ sehr beeinträchtigende Todesangst nach einem Unfall, die bei bestimmten Auslösern immer wieder auftaucht und den/die Betroffene funktionsunfähig und panisch macht. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, strukturiert in das sogenannte Trauma-/Erinnerungsnetzwerk ganz individuell beim/bei der jeweiligen PatientIn einzusteigen.
Nun wird weiter fokussiert und ein repräsentatives Bild für dieses „Thema“ (Selbstwert, Sicherheit/irreale Todesangst) als Einstieg gewählt, das den schlimmsten Moment des Erlebten darstellt (sozusagen ein „Standbild“). Dies kann im Beispiel 1 eine Demütigungssituation (z.B. „Einnässen vor der Schulklasse nach extremer Demütigung durch den Lehrer“) sein, im Beispiel 2 die Situation, bei der beim Autounfall klar wird, dass man dem entgegenkommenden Auto nicht ausweichen kann und da speziell das Gesicht des Fahrers im entgegenkommenden Auto…
Dieses wird nach verschiedenen Kriterien gemeinsam mit dem/der PatientIn bewertet. Zunächst wird erfasst, welche negativen Gedanken (=sog. negative Kognition (NK)) die Erfahrung in einer generalisierten Form hinterlassen hat. Im Beispiel der Demütigung kann das sein „Ich bin das Letzte“, „Ich bin nichts wert“, im Beispiel mit dem Autounfall „Ich sterbe jetzt.“ , „Ich komme hier nie wieder raus.“ .
Dies sind die Gedanken, die auf Auslöser hin Symptome oder unangemessene Reaktionen produzieren und somit das Erleben und Verhalten der Betroffenen in der Gegenwart teilweise massiv negativ beeinflussen, da sie als „den Alltag blockierende Überzeugungen“ abgespeichert sind. Quasi als Gegenpol dazu werden nun gemeinsam sogenannte positive Kognitionen (PK) gesucht, die die PatientInnen gerne „statt dessen“ über sich denken würden, wenn sie an die ausgesuchte Situation denken – z.B. „Ich bin ok und ich muss so was nicht mit mir machen lassen“ oder „Ich lebe, es ist vorbei.“ Diese positiven Gedanken bilden sozusagen pathetisch ausgedrückt den „Stern am Horizont“, in dessen Richtung sich der „Neubewertungsprozess im Hier und Jetzt“ bewegen soll, eine Hilfe bei der Integration des Erlebten in die Gesamtbiographie.
Nun wird bewertet, wie weit der /die Betroffene diese positiven Gedanken schon als stimmig fühlen kann, es ist eine wichtige eine Erfassung der gefühlsmäßigen Resonanz dieses Zielgedankens.
Darauf folgend werden die zur ausgesuchten Situation gehörenden und im „Hier und Jetzt“ spürbaren Gefühle sowie deren subjektiv skalierbares Ausmaß (zwischen 0 und 10) erfasst, z.B. Scham, Angst, Panik, Ohnmacht, Verzweiflung….
Der letzte Aspekt, der in der Bewertungsphase erfasst wird, ist nach dem Bild, den Gedanken und den Gefühlen die Repräsentanz des Erlebten im Körper „Wo im Körper spüren Sie das jetzt?“. Aus der einschlägigen Forschung ist bekannt, dass der Körper sozusagen das deutlichste Speichermedium für Erinnerungen ist und somit ist er in der Therapie wichtigster und letzter Indikator für Belastung und auch später Gradmesser für Entlastung. Im Beispiel 1 könnte der/die Betroffene dies im Rücken oder auf den Schultern o.ä. spüren, im zweiten Bespiel im Hals (Knoten, Schrei…) – dies ist einerseits individuell verschieden, es gibt aber auch logische und symbolische Zusammenhänge, die sich immer wieder zeigen.
Am Ende dieser Bewertungsphase ist die Person „getriggert“, d.h. auf geistig, gefühlsmäßig und körperlich mit den Komponenten der traumatischen Erinnerung fokussiert und strukturiert in Kontakt gegangen und die Phase des freien Prozessierens beginnt unmittelbar danach.
(Desensitization and Reprocessing – das D und das R in der Abkürzung EMDR, mittels Augenbewegungen (Eye Movements – das E und das M in der Abkürzung EMDR) oder anderer bilateraler Stimulationen des Gehirn (Tapps, Geräusche, Musik….)
In dieser Phase, die bezeichnenderweise Desensibilisierung/Reprozessierung heißt, wird nach dem beschriebenen Einstieg ins Trauma-/ Erinnerungsnetzwerk mit Hilfe der bilateralen Stimulationen (Augenbewegungen, aber auch taktile und akustische bilaterale Reize) der unbewusste Prozess begleitet, der wie ein Fluten im Trauma-/ Erinnerungsnetzwerk verstanden werden kann und in unterschiedlicher Intensität, Ausprägung, Geschwindigkeit und Dauer abläuft. Er wird durch die/den TherapeutIn neutral, aber unterstützend und aufmerksam begleitet und geleitet. Man kann dies verstehen als einen im therapeutischen strukturierten und sicheren Setting im „Hier und Jetzt“ hervorgerufenen Zustand mit dem Ziel der Einordnung und Integration, der sonst unvermittelt über willkürliche Auslöser im Alltag entstanden wäre (wie es die Betroffenen ja auch in der Anamnese berichten). Erfasst werden Bilder, Gedanken, Körpersensationen beim Durchgang durch das Traumanetzwerk, die ganze Konzentration ist auf dem Prozess und dem Reprozessieren, es wird aber nicht analysiert und diskutiert. Das Ziel der Intervention liegt im Anstoßen des laut AIP Modell hängengebliebenen natürlichen inneren Informationsverarbeitungsprozesses, wie er sonst beim sogenannten REM Schlaf autonom abläuft.
Nach erfolgreicher gesamter oder partieller Durcharbeitung der Erinnerungen wird nach bestimmten Kriterien auf die Ausgangserinnerung Bezug genommen, die Kennfaktoren werden neuerlich bewertet abgeschlossen, die Frage nach der Befindlichkeit im Körper wird geklärt und somit die Voraussetzung für die Umsetzung der in der Sitzung bearbeiteten Aspekte im Alltag und in der nächsten Sitzung geschaffen.
Die Erkenntnisse der Sitzung werden gemeinsam reflektiert und bewertet, wenn notwendig, wird noch Belastendes imaginativ adäquat verpackt, die Integration in die Gesamttherapie erfolgt und es werden ggf. Distanzierungsmaßnahmen und Stressbewältigungsmaßnahmen für die nächste Zeit besprochen.
Hier findet die Überprüfung der Effekte der letzten Stunde statt, sozusagen der Alltagstest, bei dem Veränderungen der Symptomatik (andere Gefühle, Neubewertungen, …) und die weiteren Behandlungsschritte und Indikationen… besprochen werden.
Quelle: Content und Literatur freundlicherweise von Frau Mag. Eva Münker-Kramer zur Verfügung gestellt.
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